Mitochondriopathie

Ein neues Erklärungsmodell aus dem Denkgefängnis der Zellularpathologie oder mögliche Brücke zur Humoralpathologie?

Omnis cellula e cellula … »Jede Zelle geht aus einer Zelle hervor«. Mit diesem Diktum – eine Neuformulierung des von William Harvey (1578–1657), dem Entdecker des Blutkreislaufs, formulierten Satzes Omne vivum ex ovo »alles Leben entsteht aus einem Ei« – zertrümmerte Rudolf Virchow 1855 ex cathedra die Jahrtausende alte Humoralpathologie. »Wo eine Zelle ist«, so Virchow, »da muß eine frühere Zelle gewesen sein, genau wie ein Tier stets aus einem Tier und eine Pflanze stets aus einer Pflanze hervorgeht.«

Von Virchows Omnis cellula e celula zur Mitochondriopathie

Der Begriff der Zelle wurde von dem englischen Universalgelehrten Robert Hooke erstmals 1663 im Zuge seiner Forschungen mit einem Auflichtmikroskop für die von ihm entdeckten Hohlräume von Flaschenkork verwendet. Marcello Malpighi übernahm seinen Zellbegriff und übertrug ihn auf den Aufbau von Pflanzen. Mehr als ein Jahrhundert später, zwischen 1800 und vor der epochalen Formulierung des neuen medizinischen Fundamentalismus von Virchow, folgte eine Reihe bahnbrechender Erkenntnisse innerhalb der Zellbiologie. Man entdeckte den Zellkern, die Zellmembran und das Zellplasma von Pflanzen und formulierte grundlegende Aussagen zur Analogie von pflanzlichen und tierischen Zellen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Wirkmacht solcher Entdeckungen glaubte Virchow, mit dem ihm eigenen Anspruch des deutschen Militärarztes, die alte Säftelehre über Bord werfen zu können. Mit der systematischen Ausgrenzung der Humoralpathologie aus dem offiziellen Kanon der »modernen« Medizin wurde die neue, fundamentalistische Ära der Zellularpathologie eingeläutet. Ivan Illich hat in seinem Buch, Nemesis der Medizin, alles Erforderliche dazu gesagt.

Durch die einseitige Fokussierung auf die Zelle und ihre Bestandteile nahm eine Entwicklung ihren Lauf, die den nahezu vollständig ausgeblendeten Extrazellularraum, die Matrix oder den Pischinger Raum zum explizit erklärten »Niemandsland der Medizin« (Dr. med. A. Riedl) machte. Noch heute lernen Mediziner das Bindegewebe in erster Linie als Stützgewebe kennen, nicht als eines der wichtigsten Stoffwechselorgane. Doch gerade wegen dieses radikalen Reduktionismus auf die Zelle mit seinem Postulat, letzte biologische Einheit des Lebens zu sein, brachte ihre Erforschung schnelle Fortschritte, zumindest im Hinblick auf ihre biochemisch gesteuerten Abläufe und ihren organisatorischen Aufbau.

Zu den neueren Errungenschaften dieser Entwicklung gehörten auch die Erkenntnisse über die sog. „kleinen Organe“ oder Organellen, wie sie im Zytoplasma der eukaryotischen Zelle entdeckt wurden. Neben Golgi-Apparat, Endoplasmatischem Retikulum, Vakuolen, Lysosomen und Peroxisomen galt den Mitochondrien als besondere Form semiautonomer Organellen die größte Aufmerksamkeit. Aufgrund der Fähigkeit von Mitochondrien, den Organismus von Tieren über die ATP-Produktion (Adenosintriphosphat) mit Energie zu versorgen und nicht zuletzt unter dem Eindruck cartesianisch-mechanistischer Denkmuster, hat man sie in Analogie zu Maschinen zunächst als die »Kraftwerke« von Zellen angesehen. Eine einzige Zelle kann fast eine Milliarde ATP-Moleküle enthalten. Produziert wird ATP jedoch in der Matrix, d.h. dem Innenraum der Mitochondrien. Die Anzahl der ATP-produzierenden Mitochondrien in den Zellen schwankt. Sie können jedoch bis zu 50% des Zellvolumens ausmachen. Wie die Zellen sind auch die Mitochondrien als Organellen innerhalb der Matrix eigenständig teilungsfähig. Diese selbständige Mitosefähigkeit versetzt sie in die Lage, bei Bedarf und abhängig von der Aktivität des Organismus, neue Mitochondrien zu produzieren oder, falls Reserven vorhanden sind, inaktive wieder zuzuschalten.

Unter dem Eindruck des neuen Weltbildes des Informationszeitalters begann sich allmählich auch das Bild von den Mitochondrien zu wandeln: vom »Kraftwerk« des cartesianischen Maschinenzeitalters wurden sie zusätzlich als »Signalgeber« entdeckt. Wie wir heute wissen, dient das von den Mitochondrien produzierte ATP nicht nur der Energiebereitstellung, sondern hat als Neurotransmitter weitreichende Signalfunktion für die gesamte Steuerung unseres Organismus. Die Erkenntnis, daß es sich in Wahrheit auch um symbiontische Kleinstlebewesen handelt, verdankeln wir dem russischen Forscher Mereschkowski, dessen Arbeiten aus dem späten 19. Jahrhundert dank der Vermittlung von Lynn Margulis seit den 1960er Jahren auch im Westen eine gewisse Bekanntheit erreicht haben.

Mit der erweiterten Erkenntnislage begann man auch diverse Funktionsstörungen von Mitochondrien zu realisieren. Die Zellularpathologie erschien plötzlich in einem neuen Kleid mit dem Namen Mitochondriopathie. Alternative Ausdrücke wie mitochondriale Zytopathie oder Mitochondriozytopathie unterstreichen diesen Tatbestand. Ihr allgemeines Merkmal: die von der mitochondrialen Funktionsstörung ausgehende Störung der Zelleistung und Zellsteuerung. Aufgrund der außerordentlichen Bedeutung von Mitochondrien sah man sich in der Lage, ein gewisses Universalmodell für Multisystemerkrankungen zu postulieren. Damit befinden wir uns aber, soviel sei als Kritik an diesem Ansatz schon einmal vorne weggenommen, inmitten des Pardigmas der Zellularpathologie.

Die entscheidende Frage, die hier zu stellen ist, betrifft die Chance, die uns dieser durchaus vielversprechende Rekurs auf die Organellen-Lebewesen als Bestandteil der Matrix der Zelle bietet: nämlich über die Grenzen der Enge des Virchowschen zellulären Lebensbegriffs hinweg, quasi über den Umweg der Zellmatrix wieder in den Verbund von Extrazellulärer Matrix und Zelle hinauszugreifen, wie es die Humoralpathologie seit Jahrtausenden macht. Ein Tatbestand, den Enderlein mit gezieltem Blick auf die Mitochondrien und die Blutflora bereits 1933 in seinem berühmten Aufsatz über »Das Ende der Herrschaft der Zelle als letzte biologische Einheit« vehement gefordert hat. Letztlich böte dies auch eine Chance zur Versöhnung zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde. Das hat, auch das sei hier schon vorweggenommen, Hans-Heinrich Reckeweg bereits in den 1950er Jahren in seiner Homotoxikologie gefordert und auch realisiert. M. E. ist sein Ansatz ebenso wie der von Enderlein in der Unterscheidung zwischen humoraler, zellulärer und Matrixphase damals schon erheblich weiter gefaßt als die eher modische Mitochondriopathie heute, wenngleich detailreiche Erkenntnisse aus den Stoffwechselprozessen der Organellen hinzugekommen sind. Die grundlegenden Bausteine des mitochondrialen Stoffwechselgeschehens sind in beiden therapeutischen Konzepten längst berücksichtigt. Wir »entdecken« scheinbar nur deshalb immer wieder das Mittelmeer, weil wir es versäumen, uns mit der Geschichte unserer eigenen Fachbereiche – vor allem aber mit den ausgegrenzten »Ketzern« – zu beschäftigen.

Die Mitochondriopathie aus der Sicht der Schulmedizin

Um ein tragfähiges Bild zu erhalten, gilt es zunächst zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten der Mitochondriopathie zu differenzieren. Da ist einmal die von Seiten der engeren Schulmedizin formulierte Mitochondriopathie und zum anderen die in naturheilkundlichen Kreisen eher bekannte Cellsymbiosetheorie von Dr. med. Heinrich Kremer. Gemeinsam ist beiden Konzepten, daß im Grunde nahezu alle Organsysteme von Störungen des mitochondrialen Energiestoffwechsels betroffen sein können. Dabei gibt es naturgemäß Überschneidungen, aber auch große Unterschiede. Das Verständnis von Mitochondriopathie der engeren Schulmedizin bezieht sich in erster Linie auf die sogenannte (1) Primäre Mitochondriopathie (Mitochondriopathie im engeren Sinn), d.h. auf ererbte Störungen des mitochondrialen Stoffwechsels. Zu den vermeintlichen Gendefekten gehören Störungen im Bereich des Pyruvatdehydrogenasekomplexes (Intermediärstoffwechsel der Kohlenhydratverwertung mit seinen beiden Glycolyseformen: Gärung und Oxidation) sowie des biochemisch sehr bedeutsamen Zitrat- oder Krebs-Henseleitzyklus und der Atmungskette. Daneben werden noch (2) Mitochondriopathien mit indirekter Beteiligung des OxPhos-Systems genannt sowie (3) Sekundäre Mitochondriopathien (lt. Definition keine Mitochondriopathien im engeren Sinne), d.h. solche bei denen eine Inhibierung des OxPhos im Rahmen anderer Stoffwechselstörungen erfolgt. Unter dem Begriff OxPhos werden Störungen in der oxidativen Phosphorylierung subsummiert. Das ist ein Stoffwechselvorgang der Atmungskette zur Anreicherung einer Elektronentransportkette in der inneren Membran der Mitochondrien (also in der Matrix!! der Mitochondrien) mit dem Ziel, einen Protonengradienten aufzubauen, mit dessen Hilfe Elektronen zur Energieversorgung in andere Kompartimente und entgegen ihr Ladungsgefälle – also quasi Flußaufwärts – transportiert werden können. Die dabei verwendeten Enzyme sind bspw. Coenzym Q, Ubichinon, Cytochrom c usw. wie sie in der Homotoxikologielehre von Reckeweg seit Jahrzehnten Verwendung finden. Da diese »Gendefekte« des mitochondrialen Stoffwechsels vor allem in jenen Zellen mit hohem Energiebedarf, d.h. in Zellgeweben mit einer hohen Mitochondriendichte vorkommen, konzentriert man sich auf die Bereiche des ZNS und der Skelettmuskulatur. Die im Kindesalter am häufigsten diagnostizierte Erkrankung aus diesem Komplex ist die mitochondriale Enzephalomyopathie mit Laktatazidose. Dazu zählen sowohl Störungen des Muskelstoffwechsels als auch des Gehirns, wo diagnostisch neben Schwerhörigkeit, Augenmuskelschwächen und vor allem auch die Epilepsie eine Rolle spielt.

Obwohl man erkennt, daß häufig verwendete Begriffe wie »Atmungskettendefekte« und »OxPhos-Krankheiten« zu kurz greifen und den Blick auf die systemische Affektion sowie auf die Möglichkeit der Beteiligung von Multisystemerkrankungen verstellen, hat es den Eindruck, als wolle man sich innerhalb der Schulmedizin mit dem Rückzug auf die vorwiegend heriditäre Form dieser Erkrankung im Kindes- und Jugendalter aus dem Bereich der erworbenen chronischen und chronisch-degenerativen Krankheitsformen davonstehlen, die ebenfalls unter die Mitochondriopathie subsumierbar wären. So aber schließt man sie qua Definition aus. Zwar wird erkannt, daß strenggenommen auch Defekte der Harnstoffbiosynthese und Störungen des oxidativen Fettstoffwechsel (β-Oxidation) sowie der Ketolyse unter den Begriff der Mitochondriopathie zählen müßten, man unterläßt es aber, weiter darauf einzugehen. In den mir vorliegenden Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft für Mitochondriopathie nicht gelistet sind außerdem Störungen der Gluconeogenese. Die Gluconeogenese findet nicht wie die Glycogenolyse ausschließlich im Zytosol statt, d.h. ohne Beteiligung von Mitochondrien, sondern gleichzeitig in drei verschiedenen Reaktionsräumen innerhalb der Zelle: im Zytosol, im Endoplasmatischen Retikulum und in den Mitochondrien. Aus diesem Grund sind bei mitochondrialen Funktionsstörungen auch Störungen im Zuckerstoffwechsel der Gluconeogenese zu erwarten. Daß hierbei auch Störungen im Endoplasmatischem Retikulum und im Milieu (Zytosol) erfaßt werden müßten, ist wohl eine der gewichtigsten Einwände gegen eine Reduktion auf die Mitochondrien und damit gegen das Modell der Mitochondriopathie.

Mitochondriopathie und Cellsymbiosetheorie nach Kremer

Der zweite Ansatz im Verständnis von Mitochondriopathie wurde von Heinrich Kremer Ende der 1990er Jahre auf der Grundlage seiner Forschungen zur Pathophysiologie von AIDS, Krebs und anderen chronischen Erkrankungen formuliert und zielt vor allem auf die duale Strategie bei der Immunantwort unseres Organismus. Kremer lehnte sich dabei eng an die von Otto Warburg postulierte Störung des Stoffwechselrhythmus im Cytochrom-C-Oxidase-Komplex (COX) der Atmungskette der Mitochondrien an. Warburg erhielt für die »Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments« (COX), bei deren Störung es u.a. zu einer starken Erhöhung der Laktatproduktion bei aerober Glykolyse kommt, 1931 den Nobelpreis für Medizin. Die Beschränkung Warburgs auf seltene Erbkrankheiten, wie sie heute noch in der Schulmedizin verankert ist, hat hier ihre Wurzeln. Kremer verwarf jedoch Warburgs strenge Dichotomie und suchte eine Erklärung in der Fähigkeit von Bakterien zur Rückbildung innerhalb der Sauerstoffnutzung, anstelle der Entweder-Oder-Hypothese von O2-Atmung versus Gärungsglykolyse. Kremers Forschungsarbeiten, mit denen er auch die Tragfähigkeit und die Funktionsfähigkeit von naturheilkundlichen biologischen Heilweisen zu erklären suchte, erregten weltweit Aufsehen. Sein 2001 erschienenes Buch, Die stille Revolution der Krebs- und AIDS-Medizin ist inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt. Im Gegensatz zur rein schulmedizinischen Mitochondriopathie und ihren Gen-Defekte-Reduktionismus rekurriert Kremer zunächst auf die Entwicklungsgeschichte der Zellevolution, indem er die Zwitternatur der menschlichen Zellsysteme in Anlehnung an die durch Lynn Margulis von Konstantin S. Mereschkowski (1855–1921) entlehnte Endosymbiontentheorie in die Immunologie überführt.

Die Endosymbiontentheorie nach Mereschowksi/Margulis gilt heute als weitgehend gesichert. Dabei ist der stärkste Beweis die Tatsache eines eigenen mitochondrialen Genoms (mtDNA). Lynn Margulis hat mit ihrer Neudeutung der Evolutionsbiologie von der 3-Reiche-Lehre zu den 5 Domänen des Lebens Lehrbuchgeschichte geschrieben. Umso bedauerlicher ist die nur teilweise erfolgte Übernahme der Endosymbiontentheorie durch Kremer. Margulis überwindet den auf die Zelle reduzierten engen Lebensbegriff der Virchowschen Zellularpathologie, indem sie Leben neu definiert und mit der Anerkennung von Bakterien als Lebewesen zumindest einen großen Schritt näher an Enderleins Lebensbegriff heranreicht, der noch einen Schritt radikaler denkt als Margulis. Leben beginnt bei ihm bereits bei den granulären Eiweißkörperchen, die von ihm so bezeichneten Protite. Die neueren Forschungen von Lida H. Mattmann zu den zellwandlosen Formen im menschlichen Organismus (Cell Wall Deficient Forms – CWD) sind eine späte Bestätigung der frühen Enderlein´schen Beobachtungen. Demzufolge können Mikroorganismen ein polymorphes Erscheinungsbild von kleinsten kugelig-granulären, an Viren erinnernde Strukturen, bis zu Bakterien und Pilzen zeigen. CWD von Mikroorganismen wie z. B. Staphylokokken oder Bazillen können physiologisch in den Erythrozyten gesunder Menschen vorkommen und sich unter bestimmen Milieubedingungen pathogen entwickeln. Besonders durch suppressive Antibiotikabehandlungen können sie wuchsaktiv pathogen werden. Und wie schon Enderlein feststellte, können CWD Formen ihre Zyklen in beide Richtungen durchlaufen, d.h. sowohl regressiv als auch progressiv wachsen.

Kremers Verdienste im Bereich der AIDS und Krebsforschung ebenso wie seine Forderung nach einer Revision der irrigen Genmedizin ist hoch anzuerkennen. Dennoch kratzt er mit seiner Cellsymbiosetheorie lediglich an den Gitterstäben des zellularpatologischen Denkgefängnisses, ohne dieses in letzter Konsequenz und mit Margulis oder gar Enderlein zu Ende gedacht einzureißen. Zwar zeigt Kremer mit der von Margulis übernommenen Basis seiner Immunologie eine einzigartige und einmalige Vereinigung in der Evolutionsgeschichte zweier Lebewesen: die Besiedlung einer größeren Archea-Art als Wirts- oder Stammzelle durch Einzeller aus der Domäne der Bacteria und damit die Bildung einer intrazellulären Lebensgemeinschaft, hier reduziert auf Zelle und die Zellorganelle Mitochondrium. Dennoch hat Enderlein lange vor Margulis diesen Prozess der Verstaatlichung von Bakterien mit großer Präzision und Leidenschaft sein ganzes Leben immer und immer wieder verkündet. Weit über die intrazelluläre Betrachtung hinausgehend hat er auch die Flora des Blutes und die zellwandlosen Formen in seine Überlegungen einbezogen.

Heute wissen wir, daß etwa ein EHEC-Bakterium aus dem Austausch von Genomen verschiedener Bakterien und damit aus dem Prozess einer Verstaatlichung hervorgeht. Auch darauf hat bereits der frühe Enderlein immer wieder mit Nachdruck verwiesen: Gentransfer von Mikroben. Die Kulminante des von Enderlein postulierten Endobionten ist ein fakultativer Anaerobier! Erst die jüngste »Entdeckung« der Bedeutung des Mikrobioms für Wachstum und Gesundheit des Menschen scheint Enderleins visionärer Forschung Recht zu geben. Die tumorspezifische Störung der Oxidation, wie sie von Warburg und später von Johanna Budwig in ihrer Öl-Eiweiß-Diät vertreten wurde, und wie sie Kremer in einer eigenen Version der Symbiontentheorie erweitert hat, ist im Grunde eine Neuauflage der Enderleinschen Endobiontentheorie.

Der entscheidende Sprung, den Kremer in seiner Immuntheorie gegenüber der Gendefekte-Theorie wagte – ganz offensichtlich ohne die Ausführungen Enderleins zu kennen und allein auf Margulis Forschungen gestützt – ist die Verknüpfung zwischen Evolutionsbiologie und der in den 1970er Jahren gemachten Entdeckung, daß das giftige Gas Stickstoffmonoxid (NO) ein endogen in den Zellen produzierter chemischer Signalträger ist, der nicht nur vasodilatorische Funktionen für die Blutdruckregulation hatte, sondern im gesamten Organismus in verschiedenen Enzymen als NO-Synthase (NOS) vorzufinden ist und entscheidende immunologische Funktionen aufweist. Das Team um Furchgott, Ignarro und Murad erhielt für diese Erkenntnis 1998 den Nobelpreis für Medizin. Kremers Modell der Mitochondriopathie ruht demnach auf drei fundamentalen Säulen:

  1. Die symbiontische Natur des mehrzelligen Organismus unter besonderer Berücksichtigung der Mitochondrien (Mereschkowski, Enderlein, Margulis – nicht zu vergessen den Vorläufer und eigentlichen Vater des Pleomorphismus: Antoine Béchamp).
  2. Die Funktion von Stickstoffmonoxid (NO-Gas) und Thiolen (antioxidative Schwefelkomponenten) als Bioregulatoren des Oxidations-Reduktions-Stoffwechsels (Furchgott et al).
  3. Die allgemeine Dichotomie des Immunsystems mit seinen immunregulativen proteinogenen Botenstoffen (Zytokine) im Wechsel zwischen zellulärer und humoraler Abwehr, sowie die Interaktion beider Systeme aufgrund der symbiontischen Natur der Zellen bei der Produktion von NO-Gas respektive der Antigen-Anti-Körper-Reaktion (AAR).

Kremer ordnet auf der Basis der Zwitternatur der Zelle seinen beiden »Bewohnern« zwei unterschiedliche Immunantwortsysteme zu. Während für die ehemals strikt anaerobe und Genom-dominante Archea-Art (60%) bereits winzige Sauerstoff-Mengen hochtoxisch waren, hatte ihr bakterieller aerober Zellsymbiont (40%) mit zunehmender O2-Dichte der Erdatmosphäre bereits eine O2-abhängige Atmungskette entwickelt. Eine Begegnung im gleichen Milieu war aber nur möglich, indem sich die strikt anaerobe Archea zum fakultativen Aerobier anpaßte, d.h. in gewisser Weise in einem Sowohl-als-auch-Milieu von O2 und NO-Gas überlebensfähig war. Das Milieu-Gleichgewicht dieser Symbiose kann nur aufrechterhalten werden, wenn die entsprechenden Redoxpotentiale mit dem durch die Stoffwechselaktivität anfallenden Abfall fertig werden. Entscheidend ist demnach die Antioxidative Kapazität (AOK) von Milieu und Zelle bzw. Zellsubsystemen. Dabei wird Glutathion (GSH), ein aus aus Cystein, Glutamat und Glycin synthetisiertes Tripeptid, als wichtigstes intrazelluläres Antioxidans angesehen. Es steht enzymatisch in enger Verbindung zur schwefelhaltigen essentiellen Aminosäure Methionin.

Neben der Bedeutung der AOK im sensiblen Gleichgewicht zur Sauerstoffversorgung als Grundlage für die Erhaltung der Homöostase der Zelle kann die funktionale Dichotomie des Immunsystems als Ausdruck der Immun-Homöostase anhand der exprimierten Zytokine bestimmt werden. D.h. zwischen einer

  1. Zellvermittelten Abwehr (direkte, NO-Gas bezogene zelluläre Abwehr) und einer
  2. Humoralen Abwehr (Antigen-Antikörper-Reaktion).

Demnach kann anhand der T-Zellen-Formierung (T=Thymus), d.h. ausgehend von Naiven T-Zellen über Th-0-Zellen, unterschieden werden in Typ-1-Helferzellen und Typ-2-Helferzellen sowie die von ihnen induzierten Messenger-Botenproteine oder Zytokine. Zusammen bilden sie, so das Postulat der Anhänger dieses Konzepts, das komplette System der Immunantworten (siehe Grafik). Die Aufrechterhaltung dieser milieuabhängigen Th1/Th2-Balance in einer krankheitsabwehrenden Immun-Homöostase steht daher im Mittelpunkt von Kremers Überlegungen.

Th1-Zellen führen eine Art »NO-Gaskrieg« über die Interferon-ϒ (IFNϒ) vermittelte Aktivierung von Makrophagen und bilden die erste Frontlinie unseres Immunsystems gegen intrazelluläre Pathogene wie Viren und Bakterien ebenso wie gegen Krebszellen. Demgegenüber bilden Th2-Zellen die extrazelluläre (humorale) Abwehr als zweite Frontlinie gegen mehrzellige Parasiten und Noxen über die Bildung von B-Zellen (B = Bone marrow/Knochenmark) in Form einer Antigen-Antikörper-Reaktion, deren Asuwirkungen auch IgE-basiert analyisert werden kann.

Entscheidend ist nun, daß sich beide Systeme in die Quere kommen können, da eine überschießende Immunantwort des einen Systems die Reaktion des anderen inhibieren kann. Ein Zuviel der Abwehr vom Typ-1, die als die aggressivere gilt, kann gleichzeitig zur klassischen Delayed-Type-Hypersensitivity (DTH) wie Kontaktdermatitis aber auch zu Typ-1-Autoimmunreaktion wie Multiple Sklerose, Arthritis oder Diabetes Typ 1 führen. Sie gelten demnach als wesentlich für die Pathogenese organspezifischer Autoimmunerkrankungen. Demgegenüber ist der humorale Arm des Immunsystems verantwortlich für die Typ-2-Autoimmunreaktionen. Sie gilt als verantwortlich für die Pathogenese allergischer Erkrankungen. Th-1 exprimierte Zytokine sind z. B. Interleukin 2 (IL-2) und IFNϒ. Th-2 exprimierte Zytokine sind IL-3 bis IL-10.

Neuere Befunden haben das dichotome Erklärungsmuster allerdings inzwischen überholt. Mit Th17 und TREG haben sich weitere Differenzierungsprogramme von T-Zellen herauskristallisiert, die unabhängig von Th1/2 arbeiten und zeigen, daß die Regulation der Immunabwehr von Säugern weitaus komplexer ist als die ursprünglich angedachte Dichotomie. Manche Autoren sprechen bereits von Autoimmunerkrankungen in der Ära von Th17-Zellen. Die Th17-Antwort wird durch die Differenzierung der Zytokinsignale IL-6 und TGF-ß in die Wege geleitet. Namensgebend für diese Linie der T-Zellen-Differenzierung ist jedoch die Zytokinfamilie IL-17. Th17-Zellen zeichnen vor allem für die Unterdrückung der Th-1-Abwehr verantwortlich und damit für eine Beeinträchtigung der darauf basierenden Immunantwort. Aufgrund der nicht erfolgreichen Abwehr an der » ersten Front « kann es zur Persistenz von Erregern und Antigenen und damit zur Chronifizierung von Entzündungsreaktionen kommen.

Reguliert wird die Immunbalance durch die Redoxsysteme von Thiolgruppen sowie dem Glutathionspiegel. Sie dienen quasi als Zytokinsensoren. Sind die Glutathion- und Thiolspiegel etwa aufgrund zahlreicher Stressoren erschöpft, kommt es zu einem einseitig dominanten Wechsel (Switch) der Immunantwort. Damit erschließt sich konsequenterweise die therapeutische Zielrichtung über die Regulierung der Immun-Homöostase, womit wir uns zugleich inmitten der Reckewegschen Homotoxikologie, der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der Traditionellen Abendländischen Medizin (TAM), sprich innerhalb der Tradition der Humoralpathologie einschließlich der Isopathie Enderleins befinden. Entscheidende Paramater für das reibungslose Funktionieren des dualen Systems sind deshalb folgende Parameter:

  • Ausreichende Antioxidative Kapazität (AOK)
  • Geringe Toxinbelastung
  • Gute Entgiftungsleistung
  • Ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt
  • Gute Nährstoffversorgung
  • Artgerechte Bewegung
  • Ausreichende Sauerstoffversorgung
  • Fernhalten emotionaler Stressoren.

Vereinfacht ausgedrückt kann man vielleicht sagen: solange die »Müllabfuhr« (Glutathion, Thio-le) in der Lage ist, den durch den Gaskrieg und die Atmungskette anfallenden Stoffwechselmüll (Sauerstoffradikale) abzutransportieren, solange kann die Immunabwehr auf der Basis von Typ-1-Zellen ohne Schaden aufrechterhalten werden.

 

Schematische Darstellung der Differenzierung von Th1 und Th2 Zellen aus Naiven T-Zellen
Modifiziert nach Laffaille JJ. (1998)

NK = Natural Killer Cells, APC = Antigen Presenting Cells

 

Therapieansätze in der Mitochondriopathie

Die schulmedizinische Antwort auf die vermeintliche, von Gendefekten heimgesuchte Mitochondriopathie heißt: »Valide Therapieempfehlungen mit Leitliniencharakter sind aufgrund mangelnder Datenlage derzeit nicht möglich«. Übersetzt heißt das soviel wie: die Pharmakologie bietet dafür keine, die Mitochondriopathie verschlimmbessernden Medikamente an. Aus dieser vermeintlichen Sackgasse kommen nun aber erstaunliche therapeutische Interimsvorschläge, die allesamt dem Grundmuster der enzymatischen und bioregulativen Unterstützung des Intermediärstoffwechsels (Zitratzyklus, Atmungskette, etc) entsprechen, wie sie in der Reckewegschen Homotoxikologie seit mehr als 50 und in der Enderlein´schen Isopathie seit mehr als 80 Jahren praktiziert werden, und wie sie auch Teil meines Stoffwechselprogramms sind. Zu dieser Beeinflussung des Intermediärstoffwechsels gehören folgende (laut Aussage der Autoren nicht validierte!) therapeutische Vorschläge:

  • Stimulation der Enzymrestaktivität durch Co-Faktoren (z.B. Quinone wie in Coenzym Q 10 von Heel)
  • Gabe von Elektronentransportern bzw. Antioxidantien (Vitamine, Aktiver Wasserstoff)
  • Reduktion von toxischen Metaboliten (systematische Entgiftung!!)
  • Antioxidative Membranprotektion (z.B. fettlösliche Vitamine)
  • Auffüllung der Energiespeicherpools (wir machen das mit Mikrostromtherapie)
  • Supplementierung bei sekundären Defizienzen (zu deutsch: Nahrungsergänzungsmittel)
  • Ketogene Ernährung (Fett- statt Zuckerstoffwechsel ist vorherrschend)


Allein die seit den späten 1990er Jahren auch hierzulande fortschreitende Wiederentdeckung der Ketogenen Diät, die bis in die späten 1920er Jahre DIE Therapieform bei Anfallsleiden war, bevor Antiepileptika wie Phenytoin (1938), Trimethadion (1946) und Primidon (1953) die Ketogene Diät verdrängten, wäre ein eigenständiger Aufsatz wert. Sie wird bis heute selbst in Fachkreisen fälschlicherweise als eine den »Hungerstoffwechsel immitierende« Diätform angesehen, was zeigt, daß man den Unterschied zwischen der physiologischen und unphysiologischen Produktion von Ketonkörper über eine starke Reduzierung von Kohlenhydraten in weiten Teilen der Schulmedizin noch immer nicht wirklich verstanden hat. Und dies, obwohl die Ketogene Diät bei »pharmakoresistenter Epilepsie« heute die Qual der Wahl darstellt und sehr erfolgreich eingesetzt wird. Die aufgrund der glucogenen Aminosäuren und ihres Beitrags zum Zuckerstoffwechsel als schwierig angesehene Einstellung der Proteinversorgung entfällt bei meinem Stoffwechselprogramm, da ich speziell das spezifische Aminosäuremuster des Menschen bediene. Master Amino Profile (MAP®) ist eine Aminosäureformel, die Studien zufolge den höchsten Proteinnährwert und nahezu keinen Stickstoffabfall, und damit auch fast keine Glucose produziert.

All die genannten Maßnahmen greifen natürlich auch für die Cellsymbiosetherapie bei Kremer, die im Grunde eine Neuauflage längst bekannter Therapiemuster ist. Die CS nutzt noch die Gabe von Glutathion, aber auch dies in Anlehnung an Ohlenschlägers Therapievorschläge aus den frühen 1990er Jahren, wie sie die Kollegen Arnold und Geßwein in der CoMed 04/2011 ausgezeichnet beschrieben haben.

Das grundsätzlich Problem aber bleibt: die Reduktion auf die Zellular- oder Mitochondriopathie. Abgesehen von der ungelösten bzw. ausgeklammerten Milieufrage sowie der von Enderlein und Margulis gestellten Frage nach dem lebendigen Agens im Säugerorganismus gibt es noch einige weitere Aspekte, die bislang zuwenig Beachtung fanden. Manche Zellen enthalten nämlich aufgrund einer geringen Sauerstoffkonzentration in den Geweben nur wenige Mitochondrien, einige Zellverbände überhaupt keine. Wenige Mitochondrien finden sich z.B. in den Leukozyten , den Hodenzellen und den Spermien. Nur im Mittelstück des Spermiums befindet sich eine Vielzahl von Mitochondrien, die die ATP-Energie für die Fortbewegung liefern. Es wird vor der Befruchtung abgeworfen. Dadurch werden bestimmte mtDNA nur von der Mutter vererbt, deren Eizellen reich an Mitochondrien sind. Wenige Mitochondrien finden sich auch im Zellgewebe der inneren Teile der Nieren. Das dunkle, innenliegende Mark ist sehr gering mit Sauerstoff versorgt und daher leichter der Gefahr einer Hypoxie mit Gewebsuntergang ausgesetzt als etwa das äußere Nierengewebe, der hellen Rindenschicht, dessen Mitochondrien eine hohe metabolische Aktivität aufgrund der hohen Sauerstoffkonzentration aufweisen. Die Erythrozyten enthalten ebenso wie die Augennetzhaut, die Augenlinse und die Augenhornhaut überhaupt keine Mitochondrien. Sie sind deshalb ausschließlich auf die anaerobe Verwertung von Glukose durch die Milchsäuregärung angewiesen.

Das Ende der Herrschaft der Zelle als letzte biologische Einheit – Enderleins früher Vorstoß in ein Quantenbiologie

Enderlein machte in den 1930er Jahren in seiner Quantenbiologie ebenso wie Albert von Szent-Györgyi 1941 den Vorschlag, die Biologie mit der Physik zu vereinen. Ich habe Enderleins Überlegungen in meinem Stoffwechsel- und Entgiftungsprogramm aufgenommen. Auf der Basis der inzwischen reichlich vorhandenen Grundlagenforschungen von Popp, Becker u.a. anderen und mit Bezug auf die Körperelektrizität sowie die als Photonen-Prozessoren tätigen Mitochondrien können wir über die Mikrostromtherapie mit körpereigenen Heilströmen sowohl auf Zelle als auch auf Milieu gezielt Einfluß nehmen. Auf der Grundlage des Energiepotentials der Zelle, der elektro-chemischen Membranspannung (Elekrolyte), der Steuerungs- und Verletzungsströme, die den Elektronen- und Stofftransport zwischen den Kompartimenten steuern (Protonengradient) und der Aufrechterhaltung des Milieus dienen, stehen alle zellulären und zellwandlosen Formen des Flüssigkeitsmilieus in unserem Organismus als Resonanzkörper in einer Schwingungsbeziehung zu den elektro-magnetischen Leitsignalen der kosmischen und eigenen gedanklichen Energien. Eine therapeutische Unterstützung durch solche als Information wirkenden Mikroströme (1 Mikroampère = 1/Millionstel eines Ampères), wie ich sie über die VitalWave® Mikro-Energie-Therapie einsetze, bildet deshalb einen weiteren, fundamentalen Baustein meines therapeutischen Konzepts. Die MET nutzt die fundamentalen Beziehungen zum Energiekörper des Menschen ebenso wie die seiner »zell- und molekularbiologischen Fenster« durch unspezifische, ultraschwache, niederfrequente Schwingungsmuster. So wie es eine Rezeptor-Ligand-Wechselwirkung im biochemischen Zellgeschehen gibt, so gibt es eine Wechselwirkung auf der Grundlage von niederfrequenten, verrauschten Signalen (Stochastische Resonanz). Höhere biologische Systeme wie der menschliche Organismus sind generell Nicht-Lineare-Systeme mit einer hohen Empfindlichkeit gegenüber solchen bio-elektrischen Wechselfeldern. Ich nutze solche Heilströme seit mehreren Jahren erfolgreich in meiner Praxis sowohl zur Milieuregulierung, zur Zellstimulation als auch zur Säure-Basen-Regulierung und zur Entgiftung. Biochemie und Biophysik können in lebendigen Wesen nicht voneinander getrennt werden.

Ich möchte das Thema nicht abschließen, ohne noch einmal auf den großen aber weitgehend ausgegrenzten Vordenker der Quantenbiologie zurückzukommen: Prof. Dr. Günter Enderlein. Milton Wainwright, ordentlicher Professor für Molekularbiologie an der Sheffield University in England schreibt in seinem Aufsatz »Forgotten microbiology – back to he future« mit Blick auf den Pleomorphismus vergangener Tage zu Recht: »Mikrobiologen, die im 21. Jahrhundert darüber wetteifern, Probleme zu lösen, finden einige sehr gute Antworten in den Publikationen ihrer Vorgänger … (und) wir sollten einige historische Annäherungen erneut in Betracht ziehen«.

Aus diesem Grund möchte ich Enderlein in seiner berühmten Antwort auf den »Chemiker« Otto Warburg, dem er schwer enttäuscht und verbittert »ein Phantasiegebäude der Biologielosigkeit« vorwirft, noch einmal selbst zu Wort kommen lassen. In seinem Aufsatz aus dem Jahre 1955, »Nur die reine Biologie vermag das Krebsrätsel zu lösen«, beschreibt Enderlein die biologischen Vorgänge der vermeintlich chemisch-mechanischen Reaktionsabläufe, m.a. W. die in seinen Augen von Kleinstlebewesen ausgehenden, enzymatisch gesteuerten Prozesse:

»Die Körperzelle atmet – die Krebszelle gärt. (…) Der Krebs ist für den Wirtsorganismus ein durch einen parasitären Pilz und seine Entwicklungsformen aufgedrängter Gärungs- und Verwesungszustand. (…) Nun hat Warburg bereits vor Jahrzehnten nachgewiesen, daß in jeder Krebsgeschwulst Milchsäure bis zur 10fachen Menge des normalen Milchsäuregehaltes des menschlichen Gewebes gebildet wird. Welche physiologische Bedeutung nun dieser erhöhte Milchsäuregehalt besitzt, das ist von mir selbst 1950 eingehend entwickelt worden, und zwar auf Grund des »antartischen Grundgesetzes«, des Abhängigkeitsgesetzes der aufsteigenden (probaenogenetischen) Tendenz der Primitivphasen der Mikrobe zu Verstaatlichungen zu höheren und höchsten Phasen von dem »absteigenden pH-Wert« des Mikroorganismus selbst und seiner umgebenden Nährmedien. Und d.h. nichts anderes, als daß dieser Mikroorganismus sich selbst den Boden schafft, um seine höheren Entwicklungsphasen zu ermöglichen.

Und diese Säurebildungen zu diesem Zwecke sind durchaus artspezifischer Natur, d.h. also, daß eine jede Art ihre eigenen organischen Säuren bildet, um die aufsteigende Tendenz (Probaenogenie) der Verstaatlichung überhaupt zu ermöglichen. So ist ja bekannt genug, daß die Zitronensäure im Handel niemals eine Zitrone gesehen hat; sie entstamm vielmehr den Kulturen von Aspergillus niger van Tieghem (…) Des weiteren ist z.B. dies bei Penicillium notatum wesentlich die »Penicillinsäure«. (…) So kommen wir nun der ausschlaggebenden Frage näher, und diese lautet: was für eine Rolle spielt nun die Anwesenheit von bis zu der 10fachen normalen Menge von Milchsäure nicht nur im Tumor, sondern auch im gesamte Blute sowie der Körperflüssigkeiten (ein Teil der Blutverschlechterung der Humoralpathologie!) eines Krebspatienten?

Nun, jetzt stellt sich die Antwort als eine einfache dar: Sie ist der Faktor des Mikroorganismus Mucor racemosus Fresen (des Endobionten) in der Richtung des absteigenden pH, um auf Grund des antartischen Grundgesetzes zu einem höheren Entwicklungsstadium zu gelangen. Durch diese dauernde Bildung der betreffenden organischen Säure werden auf diesem Weg die Primitivphasen allmählich in die Bakterienphasen übergeführt und schließlich die Bakterienphasen in die Pilzphasen.

Da allerdings zu diesem Aufstiege innere Valenzen erst allmählich aufgebaut werden müssen, die das Material für die höhere Verstaatlichung der Primitivphasen aufbringen, ist dieser Vorgang einer der Faktoren der Stegierung der Krankheitsschwere. Umgekehrt sind dahingegen bei dem umgekehrten Wege, nämlich dem Abstiege von höheren Entwicklungsphasen zu niedrigeren und zu den Primitivphasen die Valenzen vorhanden, um sich zu verringern zu primitiveren Formen. Und daher ist ein derartiger Versuch eine große Einfachheit (…) als allereinfachster Beweis der Einheitlichkeit im spezifischen Sinne von: Pilzphasen – Baktierenphasen – Primitivphasen. Denn sowohl aus der Bakterie wie aus dem Pilzmycel wid bei Hinzufügen von 5%iger Sodalösung oder doppeltkohlensaurem Natron sofort das Chondritstatium herauswachsen, un zwar in Form langer Geiseln (Fila) mit winzigen Endknöpfchen eines Symprotites (Urkörnchen) (…)

Es bleibt nur nun noch der entscheidungsvolle Schritt, alle diese Erkenntnisse zusammenzufassen; so ergibt sich, daß der Urparasit – der Endobiont – in allen seinen mannigfaltigsten Erscheinungsformen immer den Anlaß darstellt, durch seine fortdauernde Tätigkeit Milchsäure bei der Krebskrankheit zu bilden, bei dem gesamten Endobiosis-Complex an chronischen Erkrankungen die Katalysatorentätigkeit des Eisens durch die chemische Bindung des Eisens zu untergraben und zu beseitigen (und damit die Sauerstoffversorgung zu verhindern, HR, Hervorhebungen im Original).«

Wir wissen heute, daß sich diese »Mikrobe« in der Tat ihr eigenes Milieu schafft und zwar in deutlichen Abstufungen von einer Redose im Intrazellularraum und einer Oxidose im Extrazellularraum. Wie es scheint, wird bei diesen Vorgängen das alkalische Milieu der mitochondrialen Matrix (>8pH) auf das physiologisch leicht saure Milieu (pH 6,9) der zellulären Matrix ausgeweitet, wodurch im Zytosol eine Redose entsteht (pH 7,2-7,8). Die überschüssigen Protonen (H+) werden in die Tumorperipherie entsorgt, wo sie wiederum über die Ansäuerung des dortigen Milieus sowohl der Expansion des Tumors in angrenzendes Gewebe als auch der gezielten Ausschaltung des Immunsystems dient (Säuregraben als Schutzmantel des Tumors).

Enderlein hat zumindest an dieser Stelle nicht genügend differenziert und ausschließlich von einem »absteigenden pH-Wert« gesprochen, obwohl er in seinen Schriften wiederholt auch von einem alkalischen Milieu für Pilzwachstum ausging, d.h. auch ein aufsteigender pH-Wert bestimmten Mikroorganismen optimale Lebensbedingungen ermöglicht. Die Unterscheidung zwischen Tumormilieu (mitochondriale und zytosolische Matrix) und Milieu der Tumorperipherie ist hier entscheidend.

Die Zellularpathologie ist in Gestalt der Mitochondriopathie einen wichtigen Schritt in Richtung Humoralpathologie gegangen und kann als Brücke zu einem wirklichen Paradigmenwechsel dienen. Sein entscheidender Schritt aber läßt noch auf sich warten. Selbst die Protagonisten der Cellsymbiosetheorie an der Nahtstelle zur Naturheilkunde hatten bis heute nicht den Mut, das längst überholte zellularpathologische Denkgebäude einzureißen. Ganz anders dagegen Dr. med. Karl Windstösser, der schon früh Enderleins Thesen folgte und im November 1955 in seinem Vortrag vor dem Münchner Colloquium für Blut- und Geschwulstkrankheiten verkündete:

»Ein Beharren in der Sackgasse des Monomorphismus, ein Ignorieren der durch Enderlein erweiterten Hämatologie heißt eine Möglichkeit der Lösung des Krebsrätsels außer Acht lassen. Wann endlich werden sich unsere führenden Forscher und Institute ohne Vorurteil dem Pleomorphismus, der Blutparasitologie und damit einer erweiterten mikrobiologischen Krebsfrühdiagnostik, immunbiologischen Krebstherapie und objektiven Erfolgskontrolle aller übrigen therapeutischen Maßnahmen zuwenden? Die Wege dazu sind durch Enderlein geebnet. Medizin und Bakteriologie werden ihm eines Tages dafür ebenso Dank und Anerkennung wie Abbitte schulden.«

Wenngleich ich nicht der Meinung Windstössers bin, daß man Abbitte leisten wird – im Gegenteil – man wird bis aufs Blut die Irrlehre des Monomorphismus verteidigen und selbst Menschenleben für den falschen Glauben in Kauf nehmen, wie im Fall EHEC jüngst geschehen, so bin ich doch mit ihm einer Meinung, daß Enderlein mit seinem Pleomorphismus die Wege geebnet hat, die für ein tieferes Verständnis des bakteriellen und damit auch des biologischen Krebsgeschehens erforderlich sind. Alles andere subsumiere ich unter die Kategorie des von Thomas S. Kuhn aufgezeigten »Normalwissenschaftlers«, dessen psychische Verfaßtheit niemand besser beschrieben hat als Russel McCormmack in seinen Buch Nachtgedanken eines klassischen Physikers.

Ich möchte es deshalb zum Abschluß nicht versäumen, das von Enderlein häufig erwähnte, sinngemäße Zitat von Dr. med. Ernst Ferdinand Sauerbruch, einem der bedeutendsten Ärzte und Chirurgen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wiederzugeben: »Wenn der Pleomorphismus Recht hat, dann können wir unsere ganze Literatur wegwerfen …«


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